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Vom Freisinger Dom über Vötting, Hohenbachern, das Naherholungsgebiet Kranzberger See bis nach Fahrenzhausen. Meine erste Etappe auf dem Zubringer zum Münchner Jakobsweg.

Wäre gut, ich wäre in sieben Wochen einigermaßen fit für den Camino Francés, denke ich, als ich mich

um halb neun an der heimischen S-Bahn Station in die Bahn setze, um kurz vor zehn in Freising anzukommen.  Zugegebenermaßen schummele ich beim Packen für die innerdeutschen Trainingstouren noch ein wenig. Ich nehme nur ungefähr die Hälfte mit von dem, was ich in Spanien an Survivalkit dabei haben werde. Das liegt auch daran, dass ich abends wieder nach Hause zurückkehre zum Schlafen.

Es hat mal wieder gefroren in der Nacht und ist noch empfindlich kühl im Schatten, als ich mich - Anfang März - mit Mütze statt Pilgerhut auf den Weg zum Freisinger Domberg mache. Langsam könnte ich die Homepage treffender umbenennen in:  "Die Pilgermütze". Meine Güte, Freising Innenstadt ist eine einzige Baustelle!  Fotos ohne Bagger, Absperrung oder Asphalthalden sind ohne ausfahrbaren Zwei-Meter-Selfiestick, den ich nicht  im Inventar habe, nicht möglich. Schade, dabei sehen viele Fassaden sehr fotogen aus. Sogar eine fast antike Litfassäule, Relikt aus den Achtzigern, steht noch frisch beklebt herum. 

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Der Freisinger Mariendom - Konkathedrale

Ich erklimme erstmal den Domberg, den Startpunkt des Freisinger Jakobsweges. Auch im Innenhof des Doms haben Arbeiter übers Wochenende hübsche, kleine, gelbe Bagger und Raupen gekonnt um eine Baustelle herum geparkt, um ein Bob-der-Baumeister-Foto zu ermöglichen. Nicht mein Ansinnen. Schade, das Sonnenlicht fällt gerade sehr schön durch die beiden Torbögen.

In der Kirche sitzen schon einige Besucher in den coronakonform markierten Bänken zum sonntäglichen Gottesdienst. Ich finde den Dom, obwohl äußerlich eher schlicht, innen sehr beeindruckend. Dieser Ort hat  schon viel Geschichte und Renovierung hinter sich. Lange nach der Zusammenlegung der Erzbistümer München und Freising wurde er 1981 zur Konkathedrale erhoben. Zur was bitte? Wie gut, dass Google bei der Erklärung behilflich ist: Eine Konkathedrale ist eine ehemalige Bischofskirche, die nach  der Zusammenführung zweier Bistümer manchmal als zweite Kathedrale des neuen Bistums weitergeführt wird. Wieder was gelernt.

Ich bin jedoch nicht zur Messe hier, sondern weil ich gehofft hatte, am Beginn des Freisinger Weges einen Pilgerstempel zu finden. Wenn nicht hier - wo sonst? Vergeblich sehe ich mich im Vorraum um. Ich frage eine offiziell aussehende Dame mit Schildchen am Revers, die  mich zur Sakristei schickt.  Zu meiner Freude kann mir hier geholfen werden und erhalte meinen ersten Stempel. Leider nur ein halber Domabdruck, da die Stempelunterlage - mein Handteller, nicht ganz geeignet war. 

.Aber ein halber Dom ist ja auch was schönes.  Ich bedanke mich und gehe nach draußen. Dort sehe ich die Tafel "I. Station des Jakobsweges in Freising". Den Startpunkt.  Der Text klingt nach einer zuverlässigen, betreuten Wegeführung, und betreut wandern klingt doch toll. Da möchte ich der vorgeschlagenen Muschelschildroute von Station zu Station gerne folgen.

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Durch die Innenstadt

Ich verlasse den Domberg wieder und zwar in Richtung des angegebenen Wegweisers, der zurück in die Freisinger Altstadt führt. Für einen Frühschoppen im Freisinger Augustiner ist es noch zu früh, aber der Wirt bereitet  langsam Tische und Stühle vor und in zwei Stunden ist hier sicherlich mehr los. Ich wäre gerne für die Aufnahme des Fotos noch ein paar Schritte weiter zurück gegangen. Aber da hätte ich schmerzhaft die Baustellenabsperrung durchbrochen und wäre rückwärts in einem Loch verschwunden.

Nachdem ich weiter stadtauswärts gegangen bin,  folge ich gutgläubig der Vöttinger Straße und komme  bald an der Freisinger  Technischen Uni samt Bibliothek vorbei, vor deren Eingang der Bär aus dem Freisinger Wappen im Meridiankäfig steht. Ich gucke mir das an, mich überzeugt das Gesamtpaket des Kunstwerks nicht, aber das kann jetzt jeder für sich selbst interpretieren.

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Ich gehe noch ein paar Hundert Meter, aber zweifele, ob ich noch richtig bin. Irgendwo hab ich wohl nicht aufgepasst, denn ich hab länger keine Muschel mehr gesehen. Nach Überprüfung stelle ich fest, dass ich  tatsächlich eine Abzweigung verpasst habe. 

Nach einer Richtungskorrektur komme ich in den Ortsteil Vötting an die Kirche St. Jakob. Vor der Kirche steht ein großer Wegweiser, massiv wie ein Straßenschild, eingefasst in einen Metallrahmen. Die Sonne schaut gerade hinter dem Kirchturm hervor und sendet ihre blendenden Strahlen auf das Metall. Ich muss blinzeln. Es ist ein besonderer Moment. 2800 Kilometer bis nach Santiago ist zu lesen. Das ist mal eine Ansage. Ich hatte immer gedacht, es seien mindestens 300 Kilometer weniger von hieraus. Aber selbst wenn es "nur" 2500 wären -  bleibt es immer noch eine große Herausforderung. Meine Ausgangslage in 7 Wochen für den Camino Frances in Saint-Jean-Pied-de-Port sind nur 800 Kilometer - da fühle ich mich gleich besser.

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Ich verpasse Station II. und III.

Da ich mittlerweile schon relativ spät dran bin, gehe ich nicht in diese Kirche und erfahre auch nicht, ob ich was verpasse.

Erst im Nachgang zu dieser  Tour werde ich herausfinden, dass ich dort an der 3. Station des Freisinger Jakobsweges gestanden habe, ohne es zu wissen. Und auch die zweite Station, irgendwo am Weihenstephaner Berg, habe ich unfreiwillig ausgelassen, weil ich ja fälschlicherweise entlang der Vöttinger Straße gelaufen bin.  Schade, schade. Wo haben sie nur die großen Schilder versteckt?

Um solch irrlichternden Pilgern wie mir zu helfen, hat irgendwer  einen Flyer mit Plan zu den einzelnen Stationen des Freisinger Jakobsweges entworfen. Tolle Idee. Wenn man gezielt danach im Netz sucht, findet man den auch hinterher, aber dann hilft der ja nicht mehr. Es wäre praktischer gewesen diesen  beispielsweise in einem Schaukasten am oder im Freisinger Dom zu deponieren. - am besten direkt neben einem frei zugänglichen Pilgerstempel. Oder einen QR Code auf den Schildern anzubringen.  Verstehe ich nicht, wozu macht man sich die ganze Mühe dann, wenn man die Flyer nicht zielführend am Anfang des Weges auslegt? 

Auf dem MoselCamino  in Rheinland Pfalz läuft es sich vergleichsweise bequemer. Da gibt es mehr als großzügig angebrachte Muschelaufkleber und an verschiedenen Stellen ebenso großzügig ausgelegte Flyer. Da muss man nicht jeder einzelnen Information im Internet hinterher recherchieren. Man möchte den Weg doch am liebsten so einfach wie möglich gehen, ohne ständig checken zu müssen, ob man noch richtig ist.

Ich verlasse Freising und es geht entlang der Straße Richtung Hohenbachern. Kurz bevor ich dort ankomme, finde ich diesen wunderschönen Rastplatz auf einer ziemlich frisch aufgestellten Holzbank, wo mich ein lila Pilgerstein verlässt. Zeit für eine erste Pause. Mittlerweile ist es wärmer geworden, wahrscheinlich zwischen 10 und 12 Grad würde ich schätzen. Es fühlt sich so langsam nach Frühling an und ich freue mich über den schönen Tag.

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In Hohenbachern finde ich, gut sichtbar am Wegesrand, an der Kirche St. Ulrich die für mich  erste zweite Stationstafel für den Jakobsweg. Sie trägt zu meinem Erstaunen die römischen Ziffern IV und weist mich damit darauf hin, dass ich die Stationen II und III, wie eben schon erwähnt, unbeabsichtigter Weise geschlabbert habe. Station V verpasse ich jedoch nicht, sie ist am Wegesrand im Kranzberger Forst angebracht. Von der Bank dort kann man prima die tief fliegenden Flugzeuge in der Einflugschneise zum Münchner Flughafen beobachten. Dort hinterlasse ich den grünen Pilgerstein. Dann gehe ich weiter Richtung Kranzberg.

Eine sehr seltsame Begegnung

Als ich dort ankomme, freue ich mich auf eine weitere kurze Trinkpause auf einer Bank in der Sonne.  Dort hat sich bereits ein Mann, schätzungsweise Mitte 50, lesend, samt seiner Jacke und Rucksack quer über die gesamte Sitzfläche ausgebreitet. Für den Bruchteil von Sekunden zögere ich, ob ich mich dazusetzen soll, dann frage ich freundlich.

Er rafft sein Zeug zusammen, so dass ich genug Platz habe.

Wir kommen ins Gespräch. Es ist unverfänglich und nett, es geht um meine Wanderung, woher ich komme, wohin ich will. Er erklärt mir, dass es bis Fahrenzhausen noch  gute 10 Kilometer sind.

Dann schwenkt das Gespräch auf meinen Wohnort, ich erzähle über meine Familie, er über seine. Ich bemerke, dass der Mann einen ganz leichten ausländischen Akzent hat, kann ihn aber nicht zuordnen. Er lüftet das Geheimnis selbst. Er sei aus Kanada: "In Kanada ist es ganz anders als hier, da kann man so schöne Wanderungen wie hier nicht machen. In Kanada gibt es nur Städte."

Bevor ich überhaupt nachdenke, platzt es aus mir reflexartig heraus: "Das ist ja nicht wahr." Anscheinend ein falscher Satz.

Der Mann springt auf wie von der Tarantel gestochen, sucht schnell seine Sachen zusammen. Er antwortet mehr zu seinem Rucksack gewandt als zu mir," 90 Prozent aller Menschen leben in den Städten und drumherum ist nur Wald. Da gibt es keine Wege. Nur Wildnis. Wieso bezichtigen Sie mich der Lüge? Sind Sie schon in Kanada gewesen? Sie wissen doch gar nicht wovon Sie sprechen!"

Ungläubig beobachte ich die Szene. Was habe ich getan? Ich bin sprachlos, geschockt, total überrollt von der Reaktion, die mein Satz ausgelöst hat.

Ich versuche zu retten: "Doch, ich war schon in Kanada und in meiner Wahrnehmung  habe ich es anders erlebt. Aber es ist viele Jahre her."

"Wo denn?"

"In der Nähe von Quebec". Ich versuche mich an den Namen des Ortes zu erinnern in dem meine Tante wohnt, aber er fällt mir nicht ein. "Irgendwas mit Saint- ..." Ich wirke wohl nicht sehr glaubwürdig.

"Mit was für einer anmaßenden Arroganz  und Selbstgefälligkeit viele Menschen doch ausgestattet sind."

Puh. Ich versuche zu deeskalieren und entschuldige mich. "Es tut mir leid, das habe ich nicht gut formuliert, ich wollte Sie nicht verletzen." Mir ist immer noch nicht klar, warum er so extrem reagiert. Ich scheine einen wunden Punkt getroffen zu haben. Nein, er hätte überhaupt keine Lust auf so eine Konfrontation. Er würde jetzt gehen.

"Bitte, glauben Sie mir, ich wollte Sie nicht verärgern. Bleiben Sie doch hier sitzen!  Ich gehe jetzt weiter, Sie hatten sich zuerst diese Bank gesucht."

"Nein. Ich  will nur noch hier weg." Wie ein kleiner Junge zischt er ab.

Ich bin innerlich entsetzt. Auch ich wollte doch nur eine kurze friedliche Auszeit auf dieser Bank. Und es frustriert mich, das ich den Konflikt weder habe kommen sehen, noch habe deeskalieren können.

Es dauert ein, zwei Kilometer bis ich mich von dieser Begegnung erholt habe.

Südlich von Kranzberg liegt der Kranzberger See. Schön ist es hier und das sehen auch andere Menschen so, denn ich bin nicht alleine. Rund um den See bewegt sich, zumeist in Gruppen alles, was Beine, Räder oder Rollen hat. Auf der Westseite gibt es Spielplätze und geöffnete Gastronomie. Ein herrlicher Ort für einen Familienausflug.

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Immer am Wasser entlang

 

Ich folge der Ausschilderung des Jakobsweg weiter und überquere die A9 auf der Randmarkierung der Straße, ohne Fußgängerweg. Es gibt zwar kein erhöhtes Verkehrsaufkommen auf der Straße, aber ab und zu kommt mir schon ein Auto entgegen. Ich empfinde dieses Stück, bis ich hinter der nächsten Kreuzung links abbiegen kann, als ziemlich unangenehm. Nun folgen noch die letzten 6,7 Kilometer des Tages entlang des Amperkanals. Die Strecke ist nun wieder angenehm zu gehen, aber ich merke, dass ich langsam müde werde. Zudem haben wir nun 20 Grad Außentemperatur und die Sonne brennt mir von vorne auf s Gesicht. Ich spüre mit einem Mal, dass meine Wangen sehr warm sind. Die Mütze habe ich längst ausgezogen, nun wünsche ich mir sehnlichst meinen Hut herbei. Und Sonnencreme. Aber die hab ich natürlich auch zuhause gelassen. Ich dachte im März sei die überflüssig wie ein Kropf.

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Endspurt zum Bus

 

Die letzten Kilometer nach Fahrenzhausen fallen mir schwer und ziehen sich wie Kaugummi. Ich bin müde, verschwitzt, spüre leichten Kopfschmerz und mein Wasservorrat neigt sich auch dem Ende zu. Ein kleiner Vorgeschmack auf den spanischen Camino?.

Ich bin wirklich froh, als ich die Bushaltestelle in der Sonnenstraße erreiche. Perfekt getimet. Fünf Minuten bevor der Bus kommt. Deshalb bin ich die letzten zwei Kilometer auch fast gerannt. Ich checke noch schnell, ob ich auf der richtigen Seite der Straße stehe - ja das sieht gut aus. Es bleibt Zeit zum Rucksack absetzen, den letzten Schluck zu trinken  und nach der Maske (Pflicht seinerzeit) zu kramen. Wunderbar, alles klar. Ich bin bereit zum Einstieg. Erwartungsvoll schaue ich die Straße hinunter. Allein - es fehlt der Bus.

Und der kommt auch nicht, weiß der Geier warum. Ich muss leider geschlagene 50 Minuten auf den nächsten Bus warten. Da hätte ich mich nicht so abhetzen müssen!

Müde starre ich schließlich aus dem Fenster. Die Sonne geht schon unter. Bei dem Gedanken daran, dass ich in Spanien jeden Tag die heutige Kilometerzahl und mehr laufen will und dazu deutlich mehr Höhenmeter bei vielmehr Gewicht auf dem Rücken, wird mir ganz flau.  Leise Zweifel schleichen sich in meine Großhirnrinde ein. Aber vielleicht muss das vorher so sein.

"Habe Mut"  steht auf dem Pilgerstein, den ich mitnehmen will.

Nicht wundern, falls ihr vorhabt weitere Etappen dieses Weges zu lesen,  ich laufe diesen Zubringer aufgrund der Nähe zu meinem Wohnort als Tagesetappen nach Lust und Laune, nicht chronologisch

Infos zu Etappe 1:

Pilgerstempel in der Sakristei des Freisinger Doms

Hier könnt ihr den Flyer finden

Komoottour, die ich gelaufen bin:

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Zubringer Münchnner Jakobsweg Etappe 1:
Freising - Fahrenzhausen 21,6 Km

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